Stellungnahme des Kreisvorstandes zum Beschluss des Landesvorstandes zur Berliner Demonstration
Wir wenden uns entschieden gegen die vom NRW-Landesvorstand in seinem Umlaufbeschluss „Für eine starke Friedensbewegung mit klarem Kompass“ offen formulierten Behauptungen, Mitglieder der LINKEN hätten auf der Berliner Friedensdemonstration wissentlich (oder besser: willentlich?) gemeinsam mit Rechten demonstriert und dies sei von den Veranstaltern dieser Demonstration toleriert oder gar bewusst herbeigeführt worden.
Der Beschluss (Auszüge s.u.), der ohne Diskussion einstimmig bei nur einer Gegenstimme gefasst wurde, ist geprägt von Herablassung und Misstrauen gegenüber der eigenen Parteibasis und von nicht durch Fakten gedeckten Unterstellungen gegenüber den Veranstaltern. Vor allem aber atmet er den Geist der unreflektierten Anpassung des eigenen Denkens an die „Erzählungen“ des bürgerlichen Gegners und seiner medialen Übermacht. Er ist eines linken Landesvorstandes unwürdig.
Für diese Einschätzung ist es unerheblich, ob man die Aktion von Wagenknecht und Schwarzer politisch und taktisch als insgesamt gelungen und richtig ansieht oder nicht. Dazu gibt es auch in unserem Kreisvorstand unterschiedliche Meinungen. So sollten etwa Kritikpunkte wie die, dass ein solcher „Alleingang“ hinter den Möglichkeiten der Friedensbewegung zurückbleibt oder dass die Abgrenzung nach Rechts stärker und offensiver hätte ausfallen müssen, durchaus ernst genommen werden und Anlass für einen kritischen, aber auch konstruktiven Dialog mit den Akteuren über die weiteren Schritte sein.
Was wir dagegen vor wie nach der Veranstaltung erlebt haben ist Vorverurteilung, Abgrenzung, Ausgrenzung und Stigmatisierung ohne Rücksicht auf die Fakten und auf die Beteiligten.
Die Präsenz rechtsradikaler Kräfte auf der Kundgebung war nach glaubwürdigen Berichten zahlreicher linker Berichterstatter sowie uns persönlich bekannter Teilnehmer*innen aus dem Ruhrgebiet auf der Kundgebung überwiegend nicht wahrnehmbar. Sie wird jedoch zum Anlass genommen für Belehrungen in Sachen Antifaschismus oder gar Drohungen („Was wir nicht hinnehmen…“) an die eigenen Mitglieder. Wohl wissend, dass niemand verhindern kann, dass sich zu solchen Veranstaltungen immer wieder auch unerwünschte Kräfte (als Trittbrettfahrer oder als Provokateure) einfinden. Dies zum Verurteilungspunkt zu machen hieße, die Definitionsmacht über linke und fortschrittliche Aktionen in die Hände rechter Kräfte sowie bürgerlicher Politiker und Medien zu legen, die dann künftig durch ihr punktuelles Erscheinen darüber bestimmen können, ob eine Veranstaltung links ist oder nicht.
Wer zudem verkennt, dass sowohl die äußerste Rechte als auch der militaristisch aufgeheizte bürgerliche Mainstream in der gegenwärtigen zugespitzten Situation alles tun, um solche Demonstrationen und Kundgebungen durch gezielte Desinformation oder provokative Teilnahme zu diskreditieren und damit sowohl die Partei wie auch die Friedensbewegung insgesamt zu spalten, der denkt und handelt geschichtsvergessen und politisch naiv.
Vor allem aber: Wer durch eine solche eindimensionale Beurteilung der Aktion in Frage stellt, dass es spätestens jetzt eine Massenmobilisierung gegen die herrschende militaristische Besoffenheit braucht, die auch unentschiedene Menschen mitreißt, und wer es in diesem Zusammenhang als „rechtsoffen“ oder gar als Konsens mit Faschisten bezeichnet, sich weiterhin um die politisch orientierungslosen oder gar nach rechts verirrten Wähler*innen zu bemühen und sie durch konkrete Aktionsangebote nach links zu ziehen, der legt eine erschreckende Unkenntnis politischer Taktik an den Tag und hat jedes politisch-dialektische Denken verlernt oder aufgegeben.
Dies alles ist für uns deshalb schwer nachzuvollziehen, zumal es eigentlich die dringende Aufgabe unseres Bundesvorstandes gewesen wäre, für eine massenhafte Friedensinitiative zu mobilisieren oder sie gar selbst zu initiieren. Leider übt sich die Parteispitze seit längerer Zeit in erstaunlicher Zurückhaltung dabei, sich in systemrelevanten Fragen mit konsequent linken Positionen gegenüber den herrschenden Kräften zu positionieren. Anstatt im konkreten Fall diese Aktion zu stärken und durch die eigene massenhafte Präsenz deren linken Charakter unmissverständlich zu machen, wird die Friedensdemo aus parteitaktischer Überlegung oder politischer Unkenntnis bekrittelt, kleingeredet, diskreditiert und damit sowohl die eigene Handlungsunfähigkeit als auch der immer offensichtlichere Wille zur Anpassung an den politischen Mainstream übertüncht.
Der Landesvorstand NRW reiht sich mit seiner Stellungnahme in diese demobilisierende und desorientierende Anpassungspolitik nahtlos ein. Statt die eigenen Mitglieder und die Friedensinteressierten, vor allem aber die Unentschiedenen und vom offenen Wirtschaftskrieg gegen Russland sozial Betroffenen mit der Stoßrichtung zu mobilisieren: „Machen wir die Berliner und Kölner Demonstration zu linken Manifestationen gegen Krieg und gegen die Abwälzung der Kriegslasten auf die arbeitende Mehrheit“, grenzt er Teile der eigenen Mitgliedschaft mit bislang nur von den bürgerlichen Medien und Politikern bekannten Vorverurteilungen aus – wie es scheint aus parteitaktischem Kalkül und unter offener Inkaufnahme fortgesetzten Vertrauensverlustes und einer weiteren Spaltung der Partei.
Aus all diesen Gründen ist der Beschluss unserer Ansicht nach parteischädlich. Er befördert gerade nicht das, was er in seiner Überschrift zu tun vorgibt und was unser aller Ziel sein muss: „Für eine starke Friedensbewegung mit klarem Kompass“, sondern er schwächt die Friedensbewegung und vernebelt die klare politische Orientierung. Wir fordern den Landesvorstand deshalb auf, ihn ersatzlos zurückzuziehen.
P.S.:
Wir legen Wert auf die Feststellung, dass keines der Kreisvorstandsmitglieder einer parteiinternen Strömung angehört.
Gelsenkirchen, 06.03.2023
Auszüge aus dem Beschluss des Landesvorstandes (Hervorhebungen d. Verf.)
„Wir ermutigen alle Mitglieder, sich an Friedensaktionen zu beteiligen oder sie selbst zu initiieren. In diesem Sinne unterstützen wir auch die diesjährigen Ostermärsche in NRW und werden uns aktiv dort einbringen.
Was wir aber nicht hinnehmen ist, dass Mitglieder unserer Partei auf einer Kundgebung gemeinsam mit Rechtsextremist*innen, Antisemit*innen und Holocaust-Leugner*innen demonstrieren. Damit wird der antifaschistische Gründungskonsens unserer Partei infragegestellt und dem berechtigten Anliegen geschadet. Als Linke demonstrieren wir nicht mit Rechten, sondern gegen sie. Unsere Partei muss stets als konsequente Stimme im Kampf gegen Rechts wahrnehmbar sein. Es ist aller Ehren wert, dass es Linke waren, die Elsässer von der Demo in Berlin abgedrängt haben. Aber er war nicht der Einzige, der dort nicht hätte geduldet werden dürfen. Wer sich eingeladen fühlt, liegt in der Verantwortung derjenigen, die eine solche Kundgebung veranstalten. Insbesondere die AfD hat die widersprüchlichen Botschaften der Veranstalter*innen im Vorfeld der Demonstration nicht eindeutig als Ausladung wahrnehmen müssen und das hat viele, die ehrlichen Herzens für den Frieden demonstrieren wollten, abgeschreckt.“