Antifaschistische Bündniskundgebung am Grilloplatz

Am 10. Mai führte das "Gelsenkirchener Aktionsbündnis gegen Rassismus und Ausgrenzung" eine Kundgebung mit rund 30 Teilnehmer*innen auf dem Grilloplatz durch. Der Protest richtete sich gegen die vor der St. Joseph Kirche angekündigten rechte Demonstration. Zu den Organisatoren zählt unter anderem die rechtsextreme Gruppe "NRW stellt sich quer".

Die rechte Demo fand im Rahmen eines Autokorsos der Gruppe "Bürger Stimmen" statt, der unter dem Motto "Unser Grundgesetz ist kein Toilettenpapier" bereits zum dritten Mal durch Gelsenkirchen fuhr. Die besondere Brisanz: Viele Teilnehmer*innen gehören auch dabei dem rechten Spektrum an.

Die Pressemitteilung des "Gelsenkirchener Aktionsbündnisses gegen Rassismus und Ausgrenzung" gibt es hier.

 

Im Folgenden können zwei der Redebeiträge vom 10. Mai nachgelesen werden. 

 

Paul M. Erzkamp, Sprecher des Aktionsbündnisses

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

Liebes Bündnis, liebe Antifaschist*Innnen,

 

herzlich Willkommen, auch noch einmal von mir an diesem Sonntag auf dem Grilloplatz.

Ich bin Paul, Sprecher des Aktionsbündnisses gegen Rassismus und Ausgrenzung.

Wir haben uns hier versammelt, da heute zum dritten Mal ein rechtsoffener Autokorso durch Gelsenkirchen fährt. Dieser Autokorso lässt sich hier an der Grillostraße von der rechtsextremen Gruppe „Stellt euch quer NRW“ feiern.

 

1) Recht auf falsche Meinungen

Besagter Autokorso fährt das dritte Mal durch Gelsenkirchen, geschmückt mit den restlichen Fahnen der Fußball WM oder EM und bezieht sich dabei auf das Grundgesetz, das kein „Toilettenpapier“ sei.

Inhaltlich positioniert sich dieser Autokorso gegen die Maßnahmen zum Schutz vor dem Corona-Virus und hält die Maßnahmen für übertrieben.

Nicht nur in Gelsenkirchen bildeten sich solche Demonstrationen, die ein Sammelbecken von Menschen sind, die Angst um ihre Grundrechte haben, Verschwörungstheoretikern, Impfgegnern, Reichsbürgern und Rechtsextremen. Inhaltlich sind diese Demonstrationen nicht klar aufgestellt und widersprüchlich.

Natürlich haben alle Menschen das Recht, sowohl die Gefährlichkeit des Virus zu hinterfragen, die Maßnahmen zu kritisieren und anderer Meinung zu sein.

Wenn ich nach Spanien, Italien, China, Schweden oder die USA schaue, kann ich zwar nicht verstehen, wie die Gefährlichkeit des Virus geleugnet werden kann und finde auch die Forderungen, die Schutzmaßnahmen einzustellen falsch, dies bedeutet aber eben auch Meinungsfreiheit/Glaubensfreiheit.

Ich finde es wichtig, wachsam zu sein als Demokrat, wenn die Regierung und der Staat grundlegende Freiheitsrechte außer Kraft setzen und in einen Notstand übergeht.

Ich finde es katastrophal, dass Kinder und Familien zu wenig Unterstützung bekommen, ich finde es eine Schande, dass die Geflüchteten im Lager Moria auf Lesbos zu Tausenden allein gelassen werden.

Ich finde es eine Unzumutbarkeit das Hartz-IV-Familien keine zusätzliche Hilfe in der Krise bekommen.

Ich kann es nicht verstehen, dass Unternehmen Finanzspritzen bekommen, die Steuern in Deutschland vermeiden und in der Krise sogar noch Dividenden ausschütten.

Und ich verstehe nicht, wie die 1. Bundesliga mehr Aufmerksamkeit bekommt, als dass ein Fokus darauf gelegt wird, dass wir auch schon vor der Krise eine Unterfinanzierung und Unterversorgung im Bildungs- und Pflegebereich hatten.

Wo ist die versprochene Wertschätzung für das Pflegepersonal, für die Erzieher*Innen oder die Kassierer*Innen?

Aber all diese Probleme sind lösbar, wenn wir umverteilen und uns solidarisch verhalten.

Der Virus muss entschlossen bekämpft werden, und die sozialen Folgen durch Umverteilung aufgefangen werden, weltweit.

Dies ist aber nicht die Kritik dieser rechts-offenen Demonstrationen!

 

2) Inhaltliche Anknüpfung

Diese Demonstrationen sind unter anderem eine Ansammlung von Ideen, an die rechte Gruppen anknüpfen können:

1) Am Anfang der Krise versuchte die Rechte, den Virus mit den Geflüchteten zu erklären, die den Virus nach Deutschland bringen würden. Sehr schnell zeigte sich, dass diese plumpen Lügen nicht haltbar waren.

Dass vor allem internationaler Warenaustausch, Touristik und der weltweite Arbeitsmarkt die begünstigten Aspekte waren, ist nicht von der Hand zu weisen.

2) Nun begann die Zeit der Verschwörungstheorien, die an antisemitische Denkmuster anknüpfen. Dies ist auch kein Randphänomen der radikalen Rechten, sondern zieht sich bis in die Mitte der Gesellschaft. Eine ausdifferenzierte und komplexe Welt mit vielen Aspekten, die zu berücksichtigen sind, kann durch Verschwörungstheorien vereinfacht werden. Und gleichzeitig fühlen sich diese Menschen noch als „Rebellen“.

Es wird behauptet, dass das Corona-Virus eine Lüge sei (siehe Xavier Naidoo), oder nicht schlimmer als eine Grippe (Bürger Stimmen) oder dass Bill Gates die Corona Krise angezettelt habe.

Es wird behauptet, dass die Regierung die Wahrheit verschweigen und nur ihre Wissenschaftler zu Wort kommen lassen würde, und alle Gegenstimmen dürften ihre Meinung nicht äußern.

Die Beweise werden dann zu einer als Fake News entlarvten Propaganda.

Ein berühmter veganer Koch befürchtete gestern, dass die Regierung „Beruhigungsmittel in das Trinkwasser schüttet“ und ruft dazu auf „in den Untergrund“ zu gehen.

Diese Verschwörungstheorien sind gute Anknüpfungspunkte für rassistische und antisemitische Ideologie. Die Idee, dass Geheimbünde und geheime Mächte im Hintergrund die NWO einleiten wollen, steht in einer Reihe der Vorwürfe der Nazis gegen eine angebliche „Jüdische Weltverschwörung“.

 

3) Sozialdarwinistisch:

Ein weiterer Inhalt ist die Beschneidung der sogenannten „Freiheitsrechte“: Hierbei zielt die Kritik vor allem darauf, dass die Freiheit eingeschränkt sei, ohne „Mundschutz“ einzukaufen („Merkel Maulkorb“, wie „Stellt euch quer“ dies bezeichnet), das Recht auf Profit und ohne Schutzmaßnahmen weiter unbeschwert zu leben.

Dies wird einerseits mit dem Recht der „Individuellen Freiheit“ begründet, aber vor allem auch damit, dass der Virus im Zweifel nur für ältere und kranke Menschen ein ernstes Problem sei.

Oder in den Worten eines Bürgermeisters aus Tübingen: “ Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einen halben Jahr sowieso tot wären - aufgrund ihres Alters und ihrer Vorerkrankungen“.

 

Hier verbirgt sich Sozialdarwinismus! Anstatt sich solidarisch zu den Schwächsten zu stellen, sollen diese entweder „sterben“ oder „isoliert“ werden, damit der „gesunde Volkskörper“ ungestört weiter leben kann. Mit Recht sind hier die Behindertenverbände und Organisationen von älteren Menschen auf die Barrikaden gegangen. Es darf keine Menschen zweiter Klasse in Deutschland geben!

 

4)Demokratiefeindlich

Dies alles gipfelt in einer allgemeinen Verunsicherung und Ablehnung von Wissenschaft und der realen Demokratie in der BRD. Anstatt zu analysieren, welche unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen ihre Interessen versuchen durchzusetzen, wird unterstellt, dass „Angela Merkel“ einen geheimen Plan hätte.

Natürlich gibt es rechte Teile in der Regierung, die diese Krise nutzen wollen, um z.B. einen 12-Stunden-Tag wieder einführen zu können oder ein Herr Reul, der Versammlungen komplett aussetzten möchte, ABER Protest, Aufklärung, Gerichte und Opposition zeigen Wirkung.

 

5) Gemeinsame Sache mit Rechten

In dieser Mischszene sehen nun rechtsradikale Gruppen ihre Chance gekommen, um den sogenannten „Tag X“ herbeizuführen. Der Tag, an dem der bürgerliche Staat zusammenbricht.

Teile der rechtsradikalen Prepperszene besorgten sich über Jahre Waffen und organisierten sich, wie bekannt wurde, als im letzten Jahr das Netzwerk „Nordkreuz“ enttarnt wurde. In diesem organisierten sich unter anderem rechte Polizisten, Soldaten und Geheimdienstler.

Die Partei „Die Rechte“ rief bundesweit auf, hier den Schulterschluss zu suchen, um ihre Ideologie zu verbreiten.

Und auch in Gelsenkirchen war vom ersten Tag des Autokorsos die Gruppe „Stellt euch Quer NRW“ mit dabei. Ein Zusammenschluss, der bisher dadurch auffiel, gegen Geflüchtete zu hetzen und Seite an Seite mit den rechten „Steeler Jungs“ „Bürgerwehren ähnliche Spaziergänge“ in Essen, Herne und Gelsenkirchen durchzuführen.

Zum Glück misslang ihr erster Versuch in Gelsenkirchen Anfang des Jahres kläglich.

 

Ihre politische Herkunft verheimlichen sie auch nicht: Bei der letzten Kundgebung hier in Gelsenkirchen wurde die erste Strophe des Deutschland Liedes angestimmt.

Auch ist uns unerklärlich, wie die Polizei weder mitbekommen hat, dass diese Gruppe eine Kundgebung geplant hat, noch dass sie zum rechtsradikalen Umfeld gehört.

Eine Sprecherin von „Stellt euch quer NRW“ Steff van Laak will am 23.5. in Leverkusen auftreten:

Gemeinsam bei einer Kundgebung von „Aufbruch Deutschland“ mit Andree Poggenburg, der selbst für die AFD zu rechts war und Markus Beisicht, ehemals bei PRO NRW, die auch im Verfassungsschutzbericht 2011 als rechtsextrem eingestuft wurden.

 

Ich fordere daher:

1) Kein Platz für Faschisten und Rassisten in Gelsenkirchen und überall!

2) Wir fordern alle demokratischen Menschen auf, sich von solchen Gruppen zu distanzieren und berechtigte Sorge um das Grundgesetz und die Demokratie nicht durch Verschwörungstheorien, Nationalismus und Antisemitismus zu entwerten.

3) Ich möchte in einer Welt leben, in der nicht das Kapital bestimmt, Kriege geführt werden und nur die Stärksten überleben. Ich möchte eine Welt der Solidarität, der Gleichheit und Freiheit.

 

Ein echter Aufstand wird nicht gegen die Schwächsten der Welt durchgeführt, damit die Starken bequemer leben können. Eine echte soziale Revolution ist das Bündnis aller Unterdrückten weltweit, die den Kapitalismus und alle nationale Grenzen sprengen wird.

 

Dafür reicht es aber eben nicht, sich Sündenböcke zu suchen und an Verschwörungstheorien zu glauben, da müsste auch mal ein Buch gelesen werden. Meine Empfehlung für die nächsten zwei Wochen:

1) Ein Geschichtsbuch, um zu erkennen, was Faschismus ist und war!

2) Eine Einführung zur Nutzung des Internets, um Fake News zu erkennen!

3) Die Werke von Marx, wenn sie verstehen wollen, wieso es den meisten Menschen auf der Welt schlecht geht, und warum dafür keine geheimen Mächte im Spiel sein müssen!

 

 

Jonas Selter, DIE LINKE. Gelsenkirchen

 

Liebe Mitstreiter*innen,

schön, dass ihr alle zahlreich, trotz Corona-Beschränkungen unserer Kundgebung, auf dem Grilloplatz erschienen seid.

Abermals sehen wir uns heute mit den Auswüchsen rechter Bestrebungen in Gelsenkirchen konfrontiert.

 

Direkt zu Beginn sei den Teilnehmer*innen des rechtsoffenen Autokorsos gesagt:

 

Wer für die Grundrechte eintritt, muss auch zeigen können, dass er oder sie diese respektiert.

Wer permanent gegen das Grundecht auf Asyl in Artikel 16a hetzt, eine Bürgerwehr formiert, weil die Straßen dadurch angeblich unsicherer geworden sind, wer am Rande von Demos, so geschehen in Berlin, Pressevertreterinnen attackiert, und damit Artikel 5 des Grundgesetzes angreift, wer auf die Glaubens- und Gewissensfreiheit andrer nichts gibt, wie eigentlich durch Artikel 4 GG festgehalten, der macht sich mehr als unglaubwürdig als Verteidiger der staatlichen Ordnung dieses Landes.

Was ist das für eine Bewegung, die sich gerade in Gelsenkirchen und andernorts in Deutschland formt? Allen gemein ist die Forderung nach einem sofortigen Ende des Shutdowns. Dass dies Menschenleben kostet und eine zweite noch verheerendere Welle des Corona-Virus auslösen könnte, ist ihnen dabei egal. Und schon wieder ignorieren sie dabei ein Grundrecht: Artikel 2 Absatz 2 Grundgesetz: Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.

Es ist nicht das Leben anderer, was sie interessiert. Vielmehr ist es die eigene Verunsicherung, die sie heute auf die Straßen bringt. Erkenntnisse aus der Psychologie besagen, je größer das Maß an Verunsicherung ist, desto radikaler werden die Ansichten von Menschen, desto leichtgläubiger werden sie gegenüber Verschwörungstheorien.

Doch neben dem Wehklagen über Lockerungen bleiben die eigentlichen Ungerechtigkeiten verborgen, die die Politik durch Corona ersinnt:

Konzerne schütten riesige Dividenden aus und halten auf der anderen Seite die Hand für Staatshilfen auf. Schüler*innen werden zum E-Learning verdammt, ohne dass der Staat für gleiche Voraussetzungen auch bei ärmeren Familien sorgt. Mitarbeiter*innen in vielen Betrieben müssen auf Hygieneregeln verzichten, weil die Arbeitgeber dadurch den Profit gefährdet sehen, wie es zuletzt bei Westfleisch der Fall war. Kleine Unternehmen bekommen so gut wie nichts, während Konzernlobbyisten in berlin an die Türen klopfen.

Diese Probleme sind nicht mit dem Ruf nach Lockerungen zu lösen.

Wir müssen dem Staat natürlich auf die Finger schauen bei der Aufhebung der Corona-Beschränkungen. Unsere Freiheiten müssen allesamt wiederhergestellt werden und entsprechende Lehre müssen gezogen werden, vor allem was die kapitalistische Wirtschaftsordnung betrifft, die zur Verschärfung der Corona-Krise beigetragen hat.

Nicht jeder und jede, die für Lockerungen eintritt ist per se im Unrecht.

Wer allerdings die Angst um die persönliche Freiheit als Windschatten für sein völkisches Dogma nutzt, spielt ein falsches Spiel.

Dies bedroht den gesellschaftlichen Frieden und Menschenleben am Ende mehr, in Form eines neuen Faschismus, als eine Woche länger auf die Aufhebung der Corona-Einschränkungen zu warten.

Was das ganze außerdem gefährlich macht, ist der Schulterschluss von politischen Gruppen, Impfkritikern, Verschwörungstheoretikern und Einzelpersonen auf dem schmalen Grad zur politischen Verirrung. In aller Öffentlichkeit tummeln sie sich unter schwarz rot goldenen Flaggen und vereinen sich im Gedanken, das einzig Richtige für ihr Land zu tun.

Lasst uns gemeinsam davor einen Riegel schieben. Das letzte, was wir jetzt brauchen, ist eine unberechenbare Querfront.

Gegen Corona wird es eines Tages einen Impfstoff geben. Doch dem Faschismus müssen wir dauerhaft die Stirn bieten. Und wir haben heute bewiesen, wie das geht.