Bertelsmann desinformiert

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Bertelsmann kümmert sich jetzt um die Wahrheit! Damit ist Meinungsfreiheit Geschichte! Ein einziger Skandal!

Jetzt packt es die Bertelsmann Stiftung an: Wie sollte die Gesellschaft mit sogenannter Desinformation umgehen? Ein Bürgerrat soll das unter Leitung der Stiftung klären.

Die Bundesministerin des Inneren vermeldete letzte Woche freudig via X, dass die Bertelsmann Stiftung nun »Ideen zum Umgang mit manipulierten Informationen« sammelt. Und: »Die Empfehlungen des Bürgerrat​s wollen wir in die neue Strategie der Bundesregierung zum Umgang mit Desinformation einfließen lassen.« Schließlich hat man mit Bertelsmann schon im Bildungswesen so gute Erfahrungen gemacht.

Forum gegen Fakes nennt sich das Projekt. Mehr erfährt der neugierige Bürger aus einem t-online-Interview des Senior Advisors des Projektes namens Dominik Hierlemann. Dort liest man pathetische Sätze wie diesen hier: »Desinformation ist das langsam wirkende Gift der Feinde unserer Demokratie.« Was genau nun Desinformation sein soll, bleibt er als Antwort wortreich schuldig. Und Ströers Nachrichtenplattform t-online bleibt indes kritische Fragen schuldig. Was nicht wundert, denn auf der Projektseite der Bertelsmann Stiftung erfährt man, dass t-online das Projekt ebenso unterstützt wie das Bundesinnenministerium. Da schwant einem wirklich Übles.
»… ohne dass es dabei darauf ankäme […] ob sie als wertvoll oder wertlos eingeschätzt wird«

Was ist also beim Kampf gegen Desinformation, von dem man immer wieder hört und liest, gemeint? Ist es denn nicht geradewegs sinnvoll, falsche Informationen kenntlich zu machen, um den Rezipienten nicht auf eine falsche Fährte geraten zu lassen? Das ist ein grundlegend falscher Ansatz, denn um Desinformation geht es bestenfalls in zweiter Linie. Es geht in erster Instanz um abweichende Meinungen. Das konnte man während der pandemischen Zeit gut beobachten, Meinungsbeiträge in Netzwerken wurden damals kenntlich gemacht, teilweise gar gelöscht: Was hatte diese Praxis mit Desinformation zu tun? Nicht selten wurden gut recherchierte Beiträge ausgemerzt, die den Anspruch auf Information für sich in Anspruch nehmen konnten, aber als Desinformation abgestraft wurden.

Wir haben es also nicht mit einem Kampf von Information gegen Desinformation zu tun, der sich auf wissenschaftliche Standards gründet – er rekrutiert sich aus machtpolitischen Kalkül heraus. Das Interview mit Hierlemann sagt nicht viel aus, es ist genauer gesagt gar kein Interview, sondern wirkt derart abgewogen und gezielt aussageschwach, dass man von einer Marketingaktion ausgehen sollte. Gleichwohl schimmert immer wieder durch, wer die Information in Händen hält: Die Demokratie – und damit der Staat und letztlich die Bundesregierung. Die Anderen wählen AfD, verurteilen Russland nicht in Bausch und Bogen oder haben sich während Corona danebenbenommen. Das sagt Hierlemann nicht explizit, aber seine Worte atmen diesen Geist.

Zwar wird in dem Gespräch betont, dass man die Meinungsfreiheit schützen wolle – der Erklärungsansatz liest sich dabei allerdings so, dass sie nur beschützt werden kann, wenn man der Desinformation entgegentritt. Wir haben Hierlemann kontaktiert und ihn gefragt, ob ihm der Beschluss des ersten Senates des Bundesverfassungsgerichtes vom 28. November 2011 bekannt sei. Dort liest man unter anderem: »Vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit umfasst sind zum einen Meinungen, das heißt durch das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägte Äußerungen. Sie fallen stets in den Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, ohne dass es dabei darauf ankäme, ob sie sich als wahr oder unwahr erweisen, ob sie begründet oder grundlos, emotional oder rational sind, oder ob sie als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingeschätzt werden. Sie verlieren diesen Schutz auch dann nicht, wenn sie scharf und überzogen geäußert werden.«
Wir und die desinformierten Anderen«

Dominik Hierlemann beantwortete die Nachfrage ausweichend, zum Beschluss des Bundesverfassungsgerichts sagte er gar nichts. Stattdessen: »Die Meinungsfreiheit ist grundgesetzlich verbrieft. Sie ist ein Grundprinzip der Demokratie.« Ein unverbindlicher Antwortbaustein? Die Frage, welche Kompetenz und welches Mandat die private Bertelsmann Stiftung für sich in Anspruch nimmt, der Politik als Berater zur Verfügung zu stehen, beantwortete er wie folgt: »Darüber hinaus haben in unserer freien und pluralistischen Gesellschaft sowohl Privatpersonen als auch Nichtregierungsorganisationen und Stiftungen das Recht, sich in den politischen Diskussionsprozess einzubringen. Als Stiftung stellen wir die Ergebnisse unserer Arbeit der Öffentlichkeit vor und allen zur freien Verfügung.« Was Hierlemann nicht erwähnt: Anders als Privatpersonen hat die Bertelsmann Stiftung mediale Superkraft und kann Forderungen mit gezieltem medialen Sperrfeuer durchsetzen.

Er spricht auch von »unserer freien und pluralistischen Gesellschaft«, nutzt also das Possessivpronomen. Falsch ist das nicht, wird aber im Augenblick recht häufig von denen benutzt, die die Demokratie gegen »die Anderen« zu schützen vorgeben. Die Anderen sind aber nicht irgendwelche rüden Neonazis, die morgen die Diktatur verwirklichen wollen, sondern häufig nur Bürger und Gesellschaftsgruppen, die einen anderen Zugang zu den Ereignissen in Gesellschaft und Welt haben und daher eine differente Meinung hegen. Das Possessivpronomen zielt hier auf den Besitzanspruch; die »desinformierten Anderen« sollen sehen, wem das Haus gehört.

Das Forum gegen Fakes lädt alle Bürger ein, sich für einen Bürgerrat zu bewerben. Der wird dann nach dem Kriterium des Zufalls zusammengestellt – über das Auswahlverfahren ist jedoch nichts bekannt. Hierlemann erklärt im Interview mit t-online lediglich, dass der Zufall auswähle. Dort arbeite man dann Ratschläge aus, die man der Politik zur Hand geben wolle. Nancy Faeser hat ja mit Start des Projektes prompt einen Tweet bei X abgesetzt: Sie wartet offenbar darauf, dass ein Bürgerrat – der diesmal nicht mal von einer staatlichen Institution berufen wird, sondern von einer privaten Stiftung – ihr vorgibt, wie sie zu arbeiten habe. Praktisch ist das allemal, denn das verleiht einer rigiden Politik gegen sogenannter Desinformation einen basisdemokratischen Anstrich.
Harter Kurs, Verbote und KI

Neulich wies ich schon darauf hin, dass in Bürgerräten wohl kaum Menschen zu finden sein werden, die einen anderen Ansatz zur Problemstellung aufweisen. Sie haben den Glauben an die offiziellen Projekte, die den Kurs des Landes bestimmen, längst verloren. Beim Forum gegen Fakes dürfte das nicht so viel anders sein. Und die auf der Projektseite vorgestellten Anregungen von »engagierten Bürgern«, legen ein beredtes Zeugnis darüber ab: Die Maßnahmen, die man in den Raum stellt, sind alles andere als harmlose Methoden: Sie sind ein Angriff auf die Meinungsfreiheit – unter dem Deckmantel der Rettung selbiger.

Uli, 70 Jahre alt, fordert etwa: »Man sollte die Nutzung von X (Twitter) mittels KI so einschränken, dass Fakes an der Quelle gekennzeichnet werden.« Brachial hingegen Neslihan, 37 Jahre alt: »Man sollte die Veröffentlichung von Fake News im Netz rechtlich strafbar machen.« Sandra, 53 Jahre alt, meint ganz kinderlieb: »Man sollte in den Schulen den Umgang mit Desinformation zum Thema machen und darüber sprechen/diskutieren.« Michael, 69 Jahre alt, fordert harte Kante: »Man sollte nachweisliche Verbreitung falscher Informationen unter fühlbare Strafe stellen. Stärkung der Sorgfaltspflicht!« Bernd, 56 Jahre, erinnert der deutschen Zensoren: »Man sollte die Moderation/Löschung von Kommentaren in Online Medien gemäß eines anerkannten Regelwerkes (Netiquette) verpflichtend machen.«

Es gibt etliche solcher Vorschläge, die zwischen hartem Kurs, Verboten, Kinderbeschulungen und KI-gesteuerten Moderationen lavieren. Worüber sich aber gar keine Gedanken gemacht wird: Was ist Desinformation überhaupt? Ist sie in diesem Kontext vielleicht ein Kampfbegriff? Gibt es nur eine Wahrheit, nur eine Information von Wert? Allen Beteiligten scheinen die Begrifflichkeiten klar zu sein. Dabei ist noch nicht mal definiert, wer als Desinformant in Frage kommt. Geht es um Zeitungen, um Magazine – sprich: Gegen Alternativmedien, denen man ja seit Jahren offizielle Informationen zersetzende Wirkung nachsagt? Oder meint man jeden belanglosen User, der bei X oder Facebook eine Ansicht vertritt, die man als falsch erachtet und die man deshalb als durch Desinformation bedingte Falscheinschätzung einstuft?
Der Kampf gegen Desinformation und der Kampf gegen rechts

In etwa kann man sich bereits heutigen Tages vorstellen, wohin die Beratschlagung der Politik seitens der Bertelsmann Stiftung führen wird. Hierlemann greift dem im Interview mit t-online voraus: »Wir benötigen neue Formen der Beteiligung. Digitale Angebote sind wichtig.« Dass wir diese Formen benötigen, weiß er bereits jetzt, noch bevor der zufällige Bürgerrat zusammengekommen ist. Kann es überraschen, dass aus dem Hause Bertelsmann wieder mal der Ruf nach mehr Digitalisierung kommt? Im Bildungswesen hat man sich schon viel zu sehr darauf fokussiert, Lerninhalte spielen seit Jahren keine Rolle mehr. Ob denn richtig und ausreichend digitalisiert wurde: Dass scheint gute oder schlechte Bildung im Land auszumachen. Und nun stellt die Bertelsmann Stiftung also digitale Angebote zur Demokratierettung in den Raum.

Da kann es einem heiß und kalt werden. Zumal die Mitspieler, die Bertelsmann ermächtigen, einen solchen »Beitrag« zu leisten, wenig vertrauensvoll sind. Wir haben es einerseits mit dem Ministerium Nancy Faesers zu tun, das im Verbund mit Thomas Haldenwangs nachgeordneten Nachrichtendienst ganz gezielt die Gesellschaft nach jenen durchforstet, die ihre Unzufriedenheit laut artikulieren. Und dann ist da noch die Plattform t-online, die der Außen- und Onlinewerbefirma Ströer gehört und deren Großkunde die Deutsche Bahn ist, was ihr eine finanzielle Nähe zur Bundesregierung ausweist – eine Nähe, die in der staatstragenden und regierungsnahen Haltung des Nachrichtenportals durchaus zur Geltung kommt.

Der Kampf gegen Desinformation ist dem Kampf gegen rechts im Augenblick ganz offenbar nachgeordnet. Aber in der Tat geht es hier um dasselbe: Um die Ausmerzung von Störenfrieden, die sich erdreisten, den Kurs der Bundesregierung zu kritisieren und andere Ansichten zu hegen als jene, die man den Menschen jetzt als Wahrheit und damit als »richtige Information« zur Hand gibt. Zwar erklärt Hierlemann in jenem Interview, dass Dialog wichtig sei: Doch wo man sogenannte Desinformation bekämpft und sie nicht nachzuvollziehen trachtet, da führt man keine Gespräche – da simuliert man sie bloß.