Das Rafah-Massaker und die unterirdische deutsche Presse

Jacob Reimann via diefreiheitsliebe.de

Die deutsche Berichterstattung zum jüngsten israelischen Massaker in Rafah im Süden von Gaza lässt erneut auf ein generelleres Muster in der Rolle der bürgerlichen Medienlandschaft im Gaza-Krieg hierzulande schließen: Sie ist ein schlechter Witz!

 

 

Am vergangenen Abend bombardierte die israelische Luftwaffe das vom UN-Palästinenserhilfswerk UNRWA betriebene Lager Barkasat für Binnenvertriebene in Tal as-Sultan im Nordwesten des Rafah-Gouvernements. Dabei wurden 45 Menschen getötet und viele weitere verletzt. Zelte, in denen die aus sämtlichen Teilen des Gazastreifens Vertriebenen ausharren, wurden in Brand gesetzt. Videos des Infernos gingen um die Welt. Verkohlte Leichen. Ein Mann hält eine Babyleiche in die Luft, der beim Angriff augenscheinlich der Kopf weggefetzt wurde: Während die Mär von den „40 geköpften Babys“ als ein der zentralsten Kriegseintrittslügen gilt, köpft Israel tatsächlich Babys. Die IDF erklärte zum Massaker in Rafah, „unter Verwendung präziser Munition und auf der Grundlage präziser Geheimdienstinformationen“ seien „legitime Ziele“ angegriffen worden; möglicherweise seien „mehrere Zivilisten in dem Gebiet zu Schaden gekommen“.

 

Gaza ist die Hölle auf Erden“, urteilt die UNRWA nach dem Massaker von Rafah. „Die Bilder der letzten Nacht sind ein weiterer Beweis dafür.“ Seit Beginn des Krieges wurde der Großteil der über 2,3 Millionen Einwohner*innen des Gazastreifens systematisch von Norden nach Süden getrieben; die Zahl der Menschen in Rafah verfünffachte sich. Die Gegend wurde zur „safe zone“ erklärt. Nach Beginn der Offensive auf die Stadt vor wenigen Wochen sahen sich fast eine Million Menschen erneut gezwungen zu fliehen: Seit bald acht Monaten werden Millionen Menschen wie Vieh von einer Ecke des Käfigs in die nächsten getrieben. Das ist unwürdig, Demütigung und Erniedrigung als Kollektivbestrafung von Millionen.

Während es bei internationalen Medienhäusern kurz nach Bekanntwerden des Massakers die ersten Eilmeldungen gab, musste man bei deutschen Blättern lange warten. Einer der ersten Berichte (vermutlich der allererste) fand sich dann beim Springer-Medium WeltIm begleitenden Video bemüht der Leitende Redakteur Carsten Hädler das Narrativ der „menschlichen Schutzschilde“, wenn er erklärt: „Immer wieder benutzen die palästinensischen Extremisten Zivilisten zu ihrem eigenen Schutz“, und dass zuvor Raketen aus Rafah abgefeuert worden seien. Das Framing des Massakers ist im Hause Springer denkbar eindeutig und wiederkäut die israelische Propaganda: alles „legitime Ziele“.

Bestätigt bekommt Welt ihr Narrativ heute Morgen von Arye Shalicar. Per Videoschalte wiederholt der Podcaster, der bis vor kurzem als Sprecher der IDF arbeitete und für seinen extremen Rassismus gegen palästinensische Menschen auf Social Media berüchtigt ist, lang und breit das „menschliche Schutzschilde“-Argument und erklärt, dass sich Hamas-Kämpfer mutmaßlich in humanitären Zonen aufhielten; damit seien diese nun offenbar auch legitime Ziele. Es stellt sich die Frage, warum die IDF überhaupt die Farce bemüht und angebliche „safe zones“ ausruft, wenn auch diese nach Gutdünken der israelischen Führung in ein Flammenmeer verwandelt werden.

Der Artikel von Lisa Schneider in der ehemals linken taz beginnt mit der IDF-Darstellung des Massakers. Zwei Hamas-Funktionäre seien demnach getötet worden, von „legitimen Zielen“ und „präzisen“ Informationen lesen wir bei Schneider. Erst im zweiten Absatz erfahren wir von den Zerstörungen in Rafah, was jedoch direkt durch die erneute Darstellung der IDF-Position relativiert wird. Schneider verbreitet im Text auch die sonderbare Auffassung der israelischen Führung, das IGH-Urteil vom vergangenen Freitag forderte nicht das Ende der Rafah-Offensive, sondern erlaube vielmehr deren Fortführung. Sie behauptet weiter, dass sich das bombardierte Zeltlager in Rafah gar nicht in einer „humanitären Zone“ befunden hätte – eine Info, die offenbar so zentral für ihren Text ist, dass sie zunächst in den Teaser des Artikels gepackt wurde. Davon abgesehen, dass diese Darstellung eine unverhohlene Lüge ist und der bombardierte „Block 2371“ sehr wohl vom israelischen Militär als „humanitarian safe zone“ ausgewiesen wurde (nach Shitstorm auf X löschte die taz die Info aus dem Teaser, nicht jedoch aus dem Text selbst): Welchen Unterschied macht es, wo sich die Geflüchtetenzelte aufhielten, die Israel ins Inferno geschickt hat? Unter welchen Umständen genau es legitim sein kann, Zeltlager mit Geflüchteten zu bombardieren, bleibt Schneiders Geheimnis. In den Tickern und Social-Media-Kanälen der bundesdeutschen Pressehäuser finden sich viele weitere Beispiele, wie verharmlosend und relativierend dort über das Rafah-Massaker berichtet wurde. Sie aufzulisten würde den Rahmen sprengen.

Erst am Freitag urteilte der Internationale Gerichtshof IGH, dass Israel seine Offensive gegen Rafah „unverzüglich“ einstellen müsse. Die Reaktion der israelischen Regierung auf dieses historische Urteil: Sie setzt zwei Tage später ein Zeltlager in Brand, begeht ein Massaker an Zivilist*innen. Doch die bürgerlichen Medien in Deutschland vergessen beim Thema Israel und dessen Krieg gegen die Zivilbevölkerung in Gaza wie bei keinem anderen den Kern ihres Jobs: ein Gegengewicht zu den Mächtigen zu bilden. Hier wird sich unterwürfig und regierungstreu verhalten, wird sich an die Seite der Kriegsfalken, nicht der einfachen Menschen gestellt. Während es in anderen westlichen Staaten selbst die bürgerlichen Medien hinbekommen und vereinzelt echten Journalismus betreiben, der Verbrechen in Gaza aufdeckt und die israelische Propaganda dekonstruiert, gilt es hierzulande als Journalismus, IDF-Statements abzudrucken.