Denk ich an Deutschland in der Nacht...

Da war sie nun die große Demo gegen rechts in Gelsenkirchen.

 

Mal eine kurze  Frage, wenn rechte Parteien, wie die Regierungsparteien SPD, Bündnis90/ Die Grünen, die FDP und die rechte Opposition CDU gegen rechts demonstrieren, ist das dann links?

 

Die Verlogenheit, die Selbstbeweihräucherung und die Heuchelei auf dieser Demo waren nur schwer zu ertragen. Da stellen sich diese Leute auf die Bühne und tun so, als ob sie mit dem Aufkommen der AfD nichts zu tun hätten, aber das ist die erste und die schlimmste Lüge. Denn die AfD ist nicht wie ein Dschinn aus einer Flasche gekrochen, sondern sie ist dadurch entstanden, dass seit Jahrzehnten Politik gegen die normale Bevölkerung gemacht wurde, ob mit oder ohne Migrationshintergrund.

Fast ein Viertel aller Arbeitnehmer arbeitet in prekärer Beschäftigung, die Rente wurde ruiniert, der soziale Wohnungsbau ist am Ende, die Infrastruktur, egal ob Straßen, Schienen, Deiche oder Brücken, alles ist marode. Das Gesundheitssystem ist ein einziges Desaster und das Bildungssystem ist seit Jahrzehnten unterfinanziert. Die Steuerpolitik pampert weiterhin die oberen 10 %. Die Ampel und die CDU setzen, wie schon in den Jahrzehnten zuvor, weiter auf Privatisierung und  Milliardensummen werden für das Militär und Kriege aus dem Fenster geworfen. Sehr zur Freude der Rüstungskonzerne, Blackrocks und der Superreichen.

Kritische Äußerungen auf dieser Demo? - Fehlanzeige! Die Selbstbesoffenheit kannte auf dieser Demo keine Grenzen. Die Oberbürgermeisterin erzählte etwas von 80 Jahren Frieden in Europa und potztausend den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der NATO auf Jugoslawien hatte man dabei mal eben vergessen. Schlimmer noch ist,  dass so ein Unsinn von Falken, Jusos, Gewerkschaften, den Grünen und dem Rest der Truppe auf dem Platz beklatscht und bejubelt wurde. Aber die Grünen und die SPD hatten diesen Krieg ja auch beschlossen, der mit 78 Tagen Bombardement, auch auf zivile Infrastruktur, endete, und in dem sogar Uranmunition verschossen wurde.

Die einzigen, die zaghaft und windelweich Kritik erkennen ließen an der Erzählung, waren das Klimakollektiv. Aber die Aufrüstung und die unfassbare Militarisierung zu kritisieren, dafür reichte es dann doch nicht, obwohl Rüstung und Kriege die schlimmsten Klimakiller weltweit sind. Was man hier beobachten konnte, war eine alte Propagandatechnik. Man hat selber das Tafelsilber mitgehen lassen, aber man schreit: „Haltet den Dieb!“

Auf der Demo sah man viele Plakate auch mit Hassparolen. Das sind vermutlich die gleichen Leute, die sich sonst gegen Hatespeech, was immer das sein soll, im Internet positionieren und damit  das Geschäft der politischen Rechten betreiben. Die ersten Zensurgesetze sind ja auf den Weg gebracht. Tucholsky würde sich für solche Leute in Grund und Boden schämen. Es sind aber auch die gleichen Leute, die in der Corona- Krise den Mund  nicht aufgekriegt haben, als gegen Menschen massiv gehetzt wurde, die sich das Recht nahmen, über ihren eigenen Körper selber bestimmen zu wollen.  Mit dem Wort peinlich ist das gar nicht mehr zu umschreiben.

Die geistige Verwahrlosung, die Instinktlosigkeit und die politische Verwirrung die sich hier zeigten,  sind bemerkenswert und erschreckend, denn diese Haltung treibt den Rechtsextremisten die Hasen in die Küche. Das Geschwafel von wir sind „die Guten“ und das ist ein „Aufstand der Anständigen“ zeigt ein Maß an Abgehobenheit und Geschichtsvergessenheit, das nicht mehr zu toppen ist, derweil die Schlangen an den Tafeln immer länger werden und sich viele Menschen kein warmes Essen mehr leisten können und auch keine Energie.

 

Hier demonstrierte in großer Zahl die „extreme Mitte“, die sich selbst für das Maß aller Dinge hält. Seit Jahrzehnten haben diese Leute zugesehen, wie die Demokratie erodiert. Wähler blieben in immer größerer Zahl den Wahlurnen fern, je ärmer, desto mehr, denn was immer sie wählten, am neoliberalen Dogma änderte sich nichts. Wie formulierte es der CDU- Mann  Schäuble mal so undemokratisch wie verfassungsfeindlich: “Wahlen können keine Erlaubnis sein, Wirtschaftspolitik zu ändern.“

Auf dieser Demo wurden auch immer wieder „unsere Werte“ beschworen. Worin bestehen die, wenn man fragen darf? Darin, dass man jetzt in jedes Kriegsgebiet und in jede Kopf- ab - Diktatur deutsche Waffen liefert? Darin, dass man sich gegen einen Waffenstillstand in Gaza ausspricht? Darin, dass man die Abschiebeparolen der Rechtsextremisten nachbetet oder darin, dass man Julian Assange weiterhin seiner Freiheit beraubt, dafür, dass er die Wahrheit über Kriegsverbrechen ausgesprochen hat?

 

Die extreme Rechte ist eine riesige Gefahr für unser Land, denn Armut und Abstiegsängste treiben diesen Leuten leider immer wieder Menschen zu, die nicht begreifen, dass diese AfD- Truppe sicher nicht die Verteidiger der Armen und Entrechteten ist.

Angst ist eben ein schlechter Ratgeber! Es gab auf dieser Demo nicht die Spur von Selbstkritik oder Selbstzweifeln, keine politische Analyse weit und breit! Die Presse betete unreflektiert alles nach, ohne auch nur zart nach den Gründen für das Aufkommen der AfD zu fragen und begrüßte die „üblichen Verdächtigen“ auf der Demo mit Küsschen, Küsschen.

 

Da bleibt man ratlos zurück und die Zukunft erscheint dystopisch.

Mir kam auf der Demo immer wieder das Gedicht Die Lösung von Bertolt Brecht in den Sinn, das mit dem Satz endet:

 

Wäre es da nicht doch einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?

Bertolt Brecht? Ich bin sicher, sie können ihn googeln.

 

Bettina Angela Peipe