Gedanken zu einem Terroranschlag

Bettina Angela Peipe

Nach dem Terroranschlag in Halle, bei dem ein Mensch Schüsse auf eine Synagoge abgegeben hat, um anschließend in ein Döner Restaurant zu feuern, ist man zunächst einmal fassungslos über den Grad an Rassismus, der in dieser Gesellschaft um sich greift.

Spontan haben sich in vielen Städten Mahnwachen gebildet. Das ist sehr zu begrüßen, denn zunächst einmal bedeutet dies, den betroffenen Bevölkerungsgruppen Schutz zu bieten, ihnen Unterstützung und Beistand angedeihen zu lassen und ihnen zu zeigen, dass sie nicht allein sind. Das ist sehr schön und bietet den Betroffenen ein Gefühl des Sich- aufgehoben- fühlens.

Solche begrüßenswerten Aktionen verkommen jedoch schnell zu bloßer Symbolpolitik und folgenlosen Lippenbekenntnissen, wenn sich nicht substanziell im Politischen etwas verändert.

Wie oft haben wir es in den letzten Jahren erleben müssen, dass Programme gegen Rassismus finanziell zusammengestrichen wurden, Aufklärung an Schulen immer weiter zurückgedrängt wurde, Aussteigerprogramme für Mitglieder der rechten Szene teilweise Kürzungen oder Streichungen erlebt haben. Auch die finanziellen Möglichkeiten für Jugendliche sich hautnah mit den Themen Antisemitismus und Rassismus durch Fahrten in Konzentrations- und Vernichtungslager zu befassen, sind beschränkt.

Was man auch feststellen muss ist, dass der gesellschaftliche Diskurs, teilweise betrieben durch die Politik, zunehmend verroht. Der Umgang Europas mit Flüchtlingen ist menschenverachtend und zutiefst beschämend und anstatt- wie von der LINKEn seit Jahren gefordert- Fluchtursachen wirklich zu bekämpfen, betreibt man mit Frontex „Flüchtlingsabwehr“, wie Bundeskanzlerin Merkel das genannt hat. Wie heißt es in der Bibel: An den Früchten merkt man, wie der Baum gepflegt ist; ebenso merkt man an der Rede, was das Herz denkt. Sirach 27,7.

Faschismus, Antisemitismus und Rassismus gedeihen nicht im luftleeren Raum. Seit Jahrzehnten herrscht in Deutschland eine immer weiter um sich greifende Atmosphäre des Jeder gegen Jeden und Jeder ist seines Glückes Schmied. Es wird immer offensichtlicher, dass die neoliberale Wirtschaftsideologie im Kern zutiefst inhuman ist. Der Mensch wird auf seine Nützlichkeit für die Gesellschaft reduziert.

Hat wirklich irgendjemand geglaubt, dass solche sozialdarwinistischen Modelle das sonstige gesellschaftliche Klima unberührt lassen würden? Hat irgendjemand geglaubt, dass aus solchen unterkühlten, eisigen Verhältnissen warmherzige Menschen hervorgehen werden? Ein Mensch, der keine Liebe und keine Wertschätzung erfährt, wird im besten Fall zum Hyper- Egoisten, die weniger Glücklichen verstummen und werden depressiv oder sie verrohen und radikalisieren sich.

Kritisches Denken scheint nicht mehr gefragt. Junge Menschen werden zu Anpassertum erzogen, zu Konformisten, zu Opportunisten, zu kleinen Ja- Sagern, zu Selbstoptimierern, zu Ich- AGs, zu gnadenlosen Exekutierern der gesellschaftlichen Normen, die nach herrschender Lehre alternativlos sind. Das ist inakzeptabel!

In solch einem Klima gedeihen Hass und rechter Extremismus und „Zeitungen“, wie die BILD, tun ihr Übriges, die Hetze zu verbreiten, auf „faule Griechen“, „Sozialschmarotzer“ und „kriminelle Flüchtlinge“.

Faschisten und Rassisten kommen nicht als solche auf die Welt. Sie gedeihen auf einem Nährboden aus Armut, Ausgrenzung, wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit und Angst.

Erst, wenn wir wieder anfangen zu begreifen, dass ein Mensch, gleich welcher Religion, welcher ethnischen Zugehörigkeit, welcher Nationalität ein Wert an sich ist, kann diese Gesellschaft wieder gesunden.

Sonst bleiben all die gutgemeinten Mahnwachen und Demonstrationen gegen Rassismus hohle Rituale, die den Mächtigen nicht wehtun und das System nicht in Frage stellen.

Es wird Zeit, gegen den vorherrschenden, zutiefst antihumanistischen Zeitgeist anzugehen und die Ideen der Aufklärung und der politischen Alternativen wieder in den Mittelpunkt zu stellen. Es wird Zeit, den geistigen Brandstiftern, zum Teil auch aus den vermeintlich bürgerlichen Parteien, das Handwerk zu legen. Das setzt jedoch voraus, dass sich die im Ungefähren wabernde „Mitte“ sich ihrer Verantwortung für die politischen Verhältnisse in Deutschland und der Welt bewusst wird.

Erst dann können Menschen in Deutschland wieder ohne Angst leben.