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Armes Deutschland!

Die Militarisierung schreitet anscheinend auch in der Alltagssprache immer weiter voran. Da werden neuerdings Helden der Ehrenamtsarbeit gekürt und Heldenpässe an Jugendliche verteilt. Ich hatte gehofft, diesen Heldendreck, mit dem man ganze Generationen von Jugendlichen das Hirn verkleistert hat und sie in blutigen Kriegen verheizt hat, nicht mehr hören zu müssen, auch nicht in der Alltagssprache.

Ein Kommentar zu folgendem Artikel: https://www.waz.de/staedte/gelsenkirchen/engagement-macht-gelsenkirchener-schueler-zu-helden-id212531131.html

Aber spätestens seit dem ersten rot-grünen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg und dem unsäglichen gegelten Prachtexemplar Guttenberg ist scheint‘s vieles wieder sagbar.

Wenn heute wieder 17jährige über die Jobcenter rekrutiert werden dürfen und im Fernsehen wieder ungestraft Kriegspropaganda betrieben werden darf, einschließlich Werbefilmen für deutsche Rüstungsgüter und „die Truppe“, die in angeblichen „humanitären Einsätzen“- das Neusprech-Wort für Krieg- angeblich die Menschenrechte  verteidigt, dann ist es weit gekommen in diesem Land.

Das inflationäre amerikanische Heldengeschwafel, das ich im Übrigen schon immer zum Speien fand, schwappt momentan recht penetrant über den Atlantik.

Statt die Hirne der Jugendlichen und Kinder mit derartigem Militaristensprech zu verblasen, empfehle ich, lieber mit ihnen über den ausufernden Ehrenamtsbegriff zu diskutieren, der eine Ausgeburt der neoliberalen Bertelsmann Stiftung ist und der nur dem Zweck dient, den Sozialstaat immer weiter zurückzudrängen.

Diese völlig überbordende Ehrenamtskultur ist der Ausfluss einer neoliberalen Gesellschaftsvorstellung à la Mohn und Konsorten, einschließlich des Lobgesangs auf Stiftungen, Sponsoring und Tafeln!

„Immer mehr Ausbildungsbetriebe schauen genau darauf!“

Ja, warum denn nur? Vielleicht, weil die kleinen Nützlichkeitsknechte so schon ihre Bereitschaft dokumentiert haben, sich brav auch ohne Lohn ausbeuten zu lassen, und unbezahlte Mehrarbeit zu leisten- zugerichtet für den marktradikalen Arbeitsmarkt, in der marktkonformen Demokratie à la Merkel.

Eine der Schülerinnen wollte an Bedürftige Essen austeilen. Man darf annehmen, bei einer der aus dem Boden sprießenden fast 1000 Tafeln in diesem Land, wo Leute anstehen müssen, weil sie von ihrer Hände Arbeit nicht mehr leben können, weil ihre Armutsrente nicht bis zum Monatsende langt und weil der zu knapp bemessene Hartz IV Satz, nicht mal mehr das Existenzminimum sichert, geschweige denn das sozio-kulturelle Minimum. Schlimm genug,  dass sich eines der reichsten Länder der Erde wieder Suppenküchen leistet, dass aber auch immer mehr Bürger für diese Zwecke instrumentalisiert werden, ist bedenklich. Das Mädchen wurde übrigens abgewiesen mit der Begründung, man habe schon genug Helfer.

Ja, vermutlich  genug vom Jobcenter zwangsrekrutierte 1€ -Jobber, auf dass die Armutsindustrie sprieße und blühe.

„Doch dahinter steckt mehr, als nur die Vermittlung von Engagierten ab der 9.Klasse an Stellen, an denen ihre Hilfe dringend benötigt wird....“

Ja, warum wird denn die Hilfe so dringend benötigt? Vielleicht, weil immer mehr Stellen abgebaut werden, weil in Pflegeeinrichtungen mindestens 100 000 Arbeitskräfte fehlen, weil aus purer Profitgier Arbeitsplätze bei gut florierenden Betrieben ins Ausland verlagert werden und die hier Arbeitenden in schönstem neoliberalen Neusprech „freigesetzt werden“

„Mit G8 und dem Wegfall des Zivildienstes schaffen es junge Menschen heute oft nicht mehr, sich zu engagieren.“

Ja, warum denn nicht? Weil sie durch verantwortungslose Politclowns in eine Bildungswüste geschickt werden, in der Schulen verrotten und unausgegorene Ideen von neoliberalen Think Tanks ohne Zögern in „Bildungspolitik“ umgesetzt werden, ohne sie zu hinterfragen.

Ja, über all diese bedenklichen Entwicklungen könnte man mit intelligenten, engagierten Jugendlichen diskutieren, ja man müsste es sogar! Stattdessen verteilt man lieber Heldenpässe und fügt sich drein in das neoliberale Konzept. Man betet das marktradikale Mantra nach, welches da lautet: „Wir können uns den Sozialstaat nicht mehr leisten“, welches den Sozialstaat sogar durch neoliberale Apologeten wie Mario Draghi für tot erklären lässt und welches darauf besteht, ein Staat müsse wie ein Konzern geführt werden, ohne Rücksicht auf Verluste.

"Unglücklich das Land, das Helden nötig hat." So befand einst Bertold Brecht.

Gemessen daran, gehen wir finsteren Zeiten entgegen und kaum jemand, weder die Medien noch die sogenannte „kritische Öffentlichkeit“,  kritisiert das oder stellt diese Ideologie auch nur in Frage.

Eine gut funktionierende solidarische Gesellschaft  braucht keine Helden; sie braucht kritische denkende Menschen, die Spaß an ihrer Arbeit haben und hin und wieder auch das berühmte „Carpe diem!“ leben.  Davon sind wir gerade jetzt Lichtjahre entfernt.

Armes Deutschland!!